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      Runenpfähle

         

       TRANS-FORMATION I

Die Installation Runenpfähle-Pilotis de runes ist während der EXPO 02 anlässlich
der Interkontinentalen Skulpturenausstellung Artcanal «Kunst am Zihlkanal» ge-
zeigt worden. Sie stand zwischen Bieler- und Neuenburgersee im Bezug zur
heutigen deutsch-französischen Sprach- und Kulturgrenze. Die Inspiration dazu
bildeten die auf dem Grunde des Gewässers gefundenen keltischen Brückenpfeiler.
 

«Die Linie zum Raum weiten» lautete das Credo der Künstlerin Madeleine Felber,
die mit ihrem Werk nicht die trennende Grenze markiert, sondern den interkultur-
ellen Begegnungsraum als Schöpfungspotential wahrnimmt und einen Brücken-
schlag entwirft zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Pfähle ragen aus dem Wasser des Vergessens, in dessen Tiefen Überreste einer
versunkenen Kultur liegen. Jeder Fluss, jeder See hat seine Geschichte und sei-
nen Mythos so auch die zwei Seen speisende Zihl. Sie muss in der Frühzeit be-
sonders verehrt worden sein. Opferplätze und Weihestätten wurden mit Vorliebe
an Gewässern errichtet; zahlreiche Funde wie Waffen, Schmuck, Knochen von 
Menschen und Tieren, Scherben und Reste von Palisaden weisen darauf hin. 

Gleich geworfenen Stäben eines Mikadospiels liegen keltische Pfähle auf dem Grunde
des Kanals verstreut und bilden in ihrer zufälligen Anordnung geheimnisvolle Zeichen. 
Sie zu lesen sind wir versucht, sie als Runen zu deuten, diese nordischen Schrift -
und Zauberzeichen. Das Wort "Runa" heisst Geheimnis.
 

   


Die Installation westlich der St. Johannsenbrücke zwischen Le Landeron und Erlach 
besteht aus zwei dem Ufer vorgelagerten, einander gegenüberliegenden Reihen
bemalter Pfähle. Die Farben repräsentieren entsprechend dem Farbalphabet, 
"cromcode emef" je einen bestimmten Laut (Buchstaben) unserer Sprache.

 

RUNEN RAGEN AUS DEM WASSER DES VERGESSENS  - LES RUNES EMERGENT LES EAUX DE L'OUBLI
Die beiden Reihen standen in ihrer Länge im Verhältnis des Goldenen Schnittes zueinander: 33.30m : 21.62m 

Das Werk ist eine Hommâge an Adèle & Theodor Felber, Professor für Forstwissenschaften ETH 1917-1921

   

    TRANS-FORMATION II - DEKONSTRUKTION 25. Mai 2003 

     Raphael Zehnder - Saxophon (als "O" blau)  Rolf Brügger - Saxophon (als "A" rot)

     DUO GEISTLICH Pfarrer Hans-Ulrich Jäger & Pater Maurus Burkhard

     René Krebs - Trompete & Tritonhorn

 

            

              

             KKL-UFFIKON / Dagmersellen 2005-2008

                25. Juni 2006 im KKL-Uffikon
Uraufführung der drei Kompositionen INTERVALL, der musikalischen Umsetzung des Werkes
Runenpfähle von Jan Trösch, Mike Maurer und Uriel Zemp durch das Saxophon Tentett unter 
der Leitung von Raphael Zehnder, Thun.

Am 26.September 2012 wurde in Sarnino Bulgarien, im  Kulturzentrum von Jasmina & Hans Stadler
"Kultur an der Grenze - Kultura krai Granizata" die bulgarische Stelenreihe eingeweiht:

             RUNITE SE IZDIGAT OT WODATA NA ZABRAVATA

 


Essay von Regula Busin, Zürich 2002

Madeleine Felber und die Runenpfähle
Sich ans Werk machen heisst in diesem Fall ins Wasser springen. Den Versuch unternehmen, etwas aus der Tiefe heraufzuholen. Die Bewegung führt sie auf den Grund, von wo sie die Zeichen ans Licht schafft; sichtbar macht, was bis anhin verborgen war. Das ist es, was sie lockt: ins Vergangene einzutauchen und was sie findet zu entziffern. Kein Zeichen lässt sie kalt. Dieses Deutenwollen, dieses Hinter-das-Geheimnis-Kommen, ist ihr unentwegter Aufbruch.

                                                                                                    Regula Busin, Notizen  
 
 
KUNSTWERK IM ZWISCHENRAUM
 
Das, was man sieht, liegt nie in dem, was man sagt. Michel Foucault
 
Was solcher Vor-satz meint, nämlich dass Gegenstand und Rede vom Gegen-stand zweierlei sei, muss als Bedingung unseres Sprechens und Schreibens angenommen werden.
Eine lesbare Arbeit (Essay, das ist ein Versuch) über einen sichtbaren Gegenstand (in unserem Falle Kunstwerk) zu verfassen, ist also insofern ein Problem, als das Werk zwar die Referenz des Gesagten bildet, als eigentliches Objekt aber von ihm ausgeklammert bleibt. Schreiben über ein Kunstwerk kann daher immer nur Annäherung bedeuten, die nicht anders als vermittels persönlicher Anschauung zu Stande kommt.    
 
                                                        *
 „Runenpfähle“ / „pilotis de runes“ ist eine Arbeit der in Italien und der Schweiz lebenden Künstlerin Madeleine Felber, konzipiert für die parallel zur Expo 02 realisierte interkontinentale Skulpturenausstellung Artcanal. Die Landart-Installation hat ihren Platz westlich der über den Zihlkanal führenden St. Johannsenbrücke und besteht aus zwei dem Ufer vorgelagerten, einander gegenüberliegenden Reihen bemalter Pfähle. Die Farben repräsentieren gemäss dem von der Künstlerin festgelegten Farbalphabet cromcode emef ® je einen bestimmten Laut (Fonem) unserer Sprache. Auf der Berner Seite kann gegen Süden die deutsche, auf der Neuenburger Seite gegen Norden die französische Version des Satzes Runen ragen aus dem Wasser des Vergessens/ les runes emergent des eaux de l‘ oubli gesehen und gelesen werden. Das Längenverhältnis der beiden Reihen entspricht dem des goldenen Schnittes.    
                                                        *
Kühl und regnerisch jener Märznachmittag kurz vor Ausbruch des Expo-Fiebers. Wir steigen über quer verstreute Tannenstämme, von Hündin Diana freudig umwedelt, als gelte unsere Unternehmung einem Waldspaziergang. Doch dem Boden, den wir betreten, fehlt die sanfte Nachgiebigkeit, und über den Duft von Harz legt sich aufdringlich der Geruch von frischer Farbe. Im Innern der dämmrigen Schreinerei stossen wir auf Madeleine, ganz in grobes Handwerk vertieft. Sämtliche der 56 Stämme, die sie für ihre Arbeit benötigt, wollen zugeschnitten, grundiert und bemalt sein. Nebst Sägemehl liegt Spannung in der Luft: Nicht alle Fragen rund um die Montage sind gelöst, und die Zeit drängt. Während Madeleine mit ihrem Farblieferanten letzte Details zum exakten Abmischen der Töne bespricht, können wir nicht umhin, die nackte Glätte des vor uns aufgebahrten Holzes zu befühlen, ehe es wenig später eingekleidet und seiner nächsten Bestimmung zugeführt wird. Inzwischen hat das Kind unter uns im ersten Geschoss der Werkstatt die fertig gestellten Pfähle entdeckt. „Riesige Zeichenstifte!“, staunt es und rührt damit an das, was die Künstlerin als Grundfunktion ihrer Arbeit sieht - Zeichen stiften.
*
Die Welt ist voller Zeichen. Zeichen, die wir von aussen empfangen (aus der Natur, als Wink des Schicksals), und Zeichen, die wir aus uns selbst schöpfen (in Gestalt von Traum oder Symbol). Als soziale Wesen übermitteln wir einander Zeichen, sowohl willentlich, mit Hilfe von Wörtern und Sätzen, als auch unbewusst durch Mienenspiel und Gesten. Das Leben hat uns zu Semiotikern des Alltags ausgebildet; zu Sachverständigen, die laufend Zeichen senden, empfangen und verarbeiten.
Zeichen und zeigen haben eine gemeinsame Wurzel: Zeichen zeigen, wie wir uns Welt aneignen, und in welcher Weise wir sie ordnen. In Sprache und Schrift erscheinen Zeichen zu komplexen Systemen ausgeweitet: bezeichnen (Namen und Begriffe finden), zeichnen (abbilden, schreiben), verzeichnen(Begriffe sammeln und kategorisieren), aufzeichnen (festhalten und überliefern) sind beachtliche Kulturleistungen, die unserem Bedürfnis entspringen, Welterfahrung zum Ausdruck zu bringen und mit anderen auszutauschen. Die Eigenschaft des Zeichens, kommunikativ zu wirken, setzt allerdings voraus, dass der Empfänger in der Lage ist, ein Zeichen zu deuten. Aus dem Spielraum, der ihm das Zeichen eröffnet, wählt er die Möglichkeit, die ihm am nächsten liegt, das heisst die ihm wahrscheinlichste. So ist Deuten ein Akt relativer Willkür, bei dem die Gefahr des Missdeutens immer schon inbegriffen ist. Das trifft für die Kenner eines Systems von Zeichen zu, die Sprachkundigen und „Schriftgelehrten“, und es gilt in viel höherem Masse noch für alle Nichteingeweihten.
                                                        *
Als Nichteingeweihte will uns Madeleine Felber vor ihrer Arbeit zunächst haben. Wir stehen vor den Pfahlreihen, konstatieren, dass Länge und Farbe der Holzstangen variieren und sind empfänglich für die ästhetische Qualität der Installation. Uns einen Reim auf die Sache machen können wir indessen nicht. Dafür bedarf es erst eines Alphabetisierungsprozesses: Wir müssen wissen, dass das Werk lesbar ist, und wir müssen Einblick in seine Funktions-weise gewinnen. Mit dem „cromcode emef ®“ erhalten wir Zugang zum System und können so den Werkinhalt entschlüsseln: Runen ragen aus dem Wasser des Vergessens. Auf diesem Weg führt uns Felber zwei Eigenheiten von Sprache und Schrift vor, die uns üblicherweise entgehen. 
Erstens: die Zufälligkeit (Arbitrarität) des Zeichens; die Farbwahl, die sie für einen bestimmten Laut getroffen hat, ist subjektiv und damit grundsätzlich streitbar. Auch die Schriftzeichen, die wir benutzen, sind an sich auswechselbar, was wir dann inne werden, wenn wir bemüht sind, uns mit einem fremden Schriftsystem vertraut zu machen.
Zweitens: die Tatsache, dass die Phänomene der eigenen Sprache Hintergrundcharakter haben; das heisst, dass wir in der Regel fähig sind, automatisch korrekte Sätze zu bilden, ohne aktiv auf lexikalische oder grammatische Gesetze zurückgreifen zu müssen. Wir wenden Sprache an kraft einer längst geschlossenen Uebereinkunft (Konvention), derer wir teilhaftig sind, und die wir kaum je in Frage stellen. Auch Felbers Spracharbeit vermag die Uebereinkunft nicht gänzlich zu unterlaufen (so bleibt sie der vorgegebe-nen Linearität von links nach rechts verhaftet), aber über die Verletzung der Konvention erreicht sie ein Bewusstsein von deren Anwesenheit und demonstriert gleichzeitig das kreative Potential, das ein solcher Bruch freilegt.
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Die Zihl ist eine Pendlerin. Unermüdlich verkehrt sie zwischen dem Neuenburger- und dem Bielersee, und wenn es die Witterung will, auch umgekehrt. Was dem Sprachfluss versagt bleibt, der Richtungswechsel, schafft die Zihl auf Grund der gleichen Höhenlage beider Seen über Meer. Noch in anderer Hinsicht ist die einst ungebändigte, heute korrigierte Zihl ein bemerkenswertes Gewässer. Sie markiert einen Abschnitt der jahrtausende alten Kultur-grenze, die wir heute, salopp auf Kulinarisches verkürzt, als „Röstigraben“ apostrophieren. Die Archäologie belegt an Hand von Roh-materialien und Siedlungsresten das Aufeinandertreffen von nordöstlichem und südwestlichem Einfluss entlang der quer durch das schweizerische Mittelland verlaufenden Grenze. Aus der Zihl selber konnte aufschlussreiches Fundgut wie Scherben, Knochen und Pfähle aus der Keltenzeit geborgen werden.
Auf diesen Übergangs- und Begegnungsraum hat Madeleine Felber mit ihrer Arbeit reagiert. Seine landschaftliche, kulturelle und historische Dimension wird nicht im Bereich des zufällig Vorgefundenen belassen, sondern wirkt gestaltgebend: Der Brückenschlag zwischen Ufern, zwischen Sprachen und Zeiten ist die angemessene Form, den Kontext selbst zum Inhalt zu machen.
Brücken sind Mittler. Sie führen von Einem zum Andern, vom Eigenen zum Fremden. Dass es mitunter der Umweg über das Fremde ist, der die Sicht auf das Eigene erst ermöglicht, ist ein eindrücklicher Aspekt von Felbers Arbeit. Wer das Werk in seiner angestammten Sprache lesen will, ist genötigt, muttersprachlichen Boden zu verlassen und unbekanntes Territorium zu betreten. Verstehen bedingt also nicht nur die Bereitschaft, sich Fremdem auszusetzen, sondern ebenso, sich in dessen Spiegel zu erkennen.
Zwei Ufer, zwei Sprachen, ein gemeinsames Dazwischen; Archäologen, die bemüht sind, sein Geheimnis zu lüften; eine Künstlerin, die aus der Tiefe Raunen vernimmt.. Die zahlreichen Holzpfähle auf dem Grund der Zihl assoziiert Madeleine Felber mit den geworfenen Stäben eines Mikadospiels. In ihrer zufälligen Anordnung bilden sie dem Fantasiebegabten rätselhafte Zeichen, ähnlich den germanischen Schrift- und Zauberzeichen, deren Deutung bis heute Fragen aufgibt. Sie hebt diesen Schatz symbolisch und setzt ihm ihre eigenen, „modernen“ Runen entgegen. Mit ihrer Arbeit lädt sie uns ein, das, was unter der Oberfläche verborgen liegt, nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen, sondern es als Urgrund zu erinnern, aus dem wir hervor-gegangen sind.
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Das Expo-Fieber ist abgeebbt, das Dreiseenland zur Tagesordnung zurückgekehrt. Von Erlach kommend, passieren wir die St. Johannsenbrücke. Wir lassen den Wagen stehen und marschieren entlang dem Fahrdamm Richtung Thielle. Verschwunden das üppige Grün des Sommers, in den Kohlfeldern aufgeregt pickendes Krähenvolk. Hinter den abgemagerten Pappeln zeigen sich unversehens die Pfähle. Im fahlen Dezemberlicht entfalten sie eine Leuchtkraft, die uns überrascht. Mit sirrendem Flügelschlag naht ein Schwan, lässt sich zwischen den zweisprachig Alphabetenden nieder. Später das Boot pflügt sich rücksichtslos durch die Flut und bringt die Pfähle ins Taumeln. Von beiden Seiten wabbern farbige Linien über das Wasser aufein-ander zu. Dem Uferweg folgend, treffen wir auf die Überreste demontierter Expo-nate. Vom langen Aufenthalt im Nassen angegriffen, harren sie an der Böschung ihres Abtransports. Wie ein Kunstwerk würdig auflösen? Ich schlage vor, die Pfähle dem Fluss zu übergeben, als weitere Fundschicht, als Runen der Neuzeit, von kommenden Generationen zu entdecken. Madeleine möchte nichts vorwegnehmen. Gelegentlich denkt sie sich die Klaviatur zerlegt und in alle Winde verstreut. Vielleicht gelänge so, über die Distanz hinweg, ein immer neues Zusammenspiel von Farbklängen und Wortlauten."

                                                       

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