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Kurt Büchler im Gespräch mit Madeleine Felber im Februar 2003           

 Biographisch der Schrift auf der Spur

1. Wo bist du auf die Welt gekommen?

 Am Fluss, mitten im Sommer und drei Wochen zu früh! Ich hatte es eilig, wie immer an die Luft und  an das Licht zu kommen - an die Wallisersonne.

2. ... unter welcher du deine Jugendjahre verbracht hast.

 Ich verbrachte bloss mein erstes Lebensjahr im Wallis, in Sierre - wo Rainer Maria Rilke die Duineser  Elegien vollendet hatte und die Sonette an Orpheus geschrieben - dann zog meine Familie nach  Zürich.

3. Was ist dir aus deiner Schulzeit in Erinnerung geblieben?

 Meine Orientierung im Raum ist noch immer an das Schulzimmer gebunden: rechts die Tür, der Ein-  und Ausgang: der Aktionsraum, links die Fensterfront, die Weite zum Abschweifen: der Traumraum  und dazwischen die schwarze Wandtafel. Darauf stand kreideweiss die schlangengekurvte Linie, die  ich mit Stolz als «ES» erkannte. Dieser jedoch schmolz mit der Zurechtweisung der Lehrerin, das  wäre  kein «ES», sondern ein «S» , und sie säuselte den zum Schweigen mahnenden Laut durch die  Luft.  Da sass ich mit einem schlangegekurvten Fragezeichen im Kopf, zwischen Buchstabe und Laut    hineingeworfen.

4. Hattest du schon in der Schule eine Vorliebe fürs Malen?

 In der dritten Klasse füllte ich, zum Erstaunen der Lehrerin, das Zeichnungsheft mit Spiegelschrift.  Seite um Seite liess ich den Linienzug von rechts nach links und von links nach rechts über die Fläche  ziehen, wie die «bustrophedische» Schrift, eine alte, griechische Schreibweise, welche stierwenderisch  genannt, in einer pendelnden Hin- und Her-Bewegung über die Fläche zieht, gleich dem Stier, der  den  Pflug über den Acker zieht.

5. Jahre später hast du selber Schule gegeben?

 Das war die Zeit, als viele italienische Fremdarbeiter in die Schweiz kamen. Die Kinder lernten schnell  deutsch sprechen, um jedoch mit den Eltern kommunizieren zu können, wollte ich italienisch lernen  und ging nach Florenz. Nach einem Jahr Italien war ich vorbereitet für die Englischprüfung, das  Cambridge First Certificate.

6. Wie bitte?

 Ich besuchte an der amerikanischen Kunstschule SACI (Studio Art Center International) das  Aktzeichnen.

7. ... und Zeichnen hast du auch gelernt?

 Mit der Unsicherheit einer Erstklässlerin, die Schreiben lernt, zog ich die ersten Linien in die weisse  Fläche, seismografische Spuren zwischen Ein- und Ausdruck.

 Der Direktor Jules Maidoff der Schule öffnete mir die Augen für den Zwischenraum, «the negative  space».

 Im Aktzeichnen bei Rudolf Frauenfelder, meinem geschätzten Zeichenlehrer in Zürich, konnte ich  diese Erfahrung später vertiefen und verfeinern.

8. Hast du in Florenz auch gemalt?

 Vor der Farbe hatte ich grossen Respekt. Bei meinem ersten Versuch, ein Ölbild zu malen, ging es mir  um die Raumempfindung, die ich hatte, als ich mich im Pantheon in Rom um meine eigene Achse  drehte, plötzlich stillstand und durch die Öffnung im Dach den Himmel betrachtete, während sich der  Raum um mich weiter drehte... Ich gäbe viel darum, das Bild heute noch zu haben.

 Bei Pirzio, einem Florentiner Maler und Bildhauer wurde ich in die Grundtechnik der Ölmalerei  eingeführt. Er verabschiedete mich mit den Worten: «La technica c'è l'hai. Non devi avere paura di  nulla, ne del colore, ne della critica, ne del futuro.» - «Mit der Technik bist du vertraut. Du brauchst  vor nichts Angst zu haben, weder vor der Farbe, noch vor der Kritik, noch vor der Zukunft.»

9. Und was ist dir von Florenz in Erinnerung geblieben?

 Mein bevorzugter Ort ist die Krypta von San Miniato al Monte. Von der Piazzale Michelangelo geniesst  man die weite Sicht auf die Stadt am Arno. Nach einem kleinen, kurzen Anstieg gelangt man zur  Kirche mit dem Mosaik über dem Eingang. Beim Eintritt in die höhlenartige Krypta, zwischen den  Säulen, die Stämmen gleich das niedrige Gewölbe tragen, kehrt sich die «Aussicht zur Einsicht».

10. Was folgte nach Florenz?

 Neben dem Unterrichten an verschiedenen Schulen belegte ich in Zürich einen Kalligrafiekurs  «Karolinger Minuskel». Mein Interesse fokussierte sich dabei weniger auf die Schönschrift, als  vielmehr auf den Buchstaben als abstraktes Formzeichen und ich hoffte, etwas über den ihm zu  Grunde liegenden Bildcharakter in Erfahrung zu bringen. Im Buch von Adrian Frutiger stiess ich auf  Darstellungen, welche mögliche Abstraktionsreihen von Buchstaben aufgezeigen, zum Beispiel, wie  sich angeblich aus dem Stierkopf das «Aleph» der erste Buchstabe des phönizischen Alphabets,  herauskristallisiert hat oder wie aus einer Schlange/Fisch das «Nun», der Buchstabe «N» entstanden  ist. Die konsequente Trennung von Bild und Begriff ermöglichte dem Handelsvolk der Phönizier die  Erfindung der 22 Alphabetzeichen. Damit hatten sie den konsequenten Schritt zur «Einlautschrift»  vollzogen .Es ist ihnen gelungen, den flüchtigen Sprachlaut in in «den Griffel» zu bekommen. Für die  Vokale jedoch, wurden noch keine Zeichen gesetzt. Weshalb wohl? Hatte man eine Scheu davor, die  Vokale fest zu halten? Oder handelte es sich im Grunde genommen noch um eine Silbenschrift, bei  welcher die Vokale zu den Konsonanten lediglich gedacht, nicht aber geschrieben wurden. Erst die  Griechen setzten bei der Übernahme des Alphabets von den Phöniziern Zeichen für Vokale; über  Etrusker und Römer ist das Alphabet mit geringen Abweichungen zu uns gelangt. Untersuchungen  haben gezeigt, dass Vokale von unserem Gehirn anders verarbeitet werden als Konsonanten.

11. Die Schrift und ihre Geschichte interessiert dich?

 Die Schrift erscheint mir als Keil, der sich zwischen Körper und Kopf, zwischen Natur und Mensch  hineingestellt hat. Ob wir diesen Keil trennend oder verbindend einsetzen liegt in unseren Händen.

12. Wie zeigt sich das in deiner Bildsprache?

 Einige Jahre malte ich asemantische Kalligrafie, Zeichen-Bilder, welche nicht vom Sinn domestiziert  werden und aus Freude an der freien Bewegung entstanden sind, aus dem Dialog der Linie mit der  Fläche.

13. Würde man da nicht eher von Schrift, als von Malerei sprechen?

 Sowohl im nahen, wie im fernen Osten werden diese beiden Kategorien nicht mit der strikten  Ausschliesslichkeit voneinander getrennt wie bei uns im Westen. Die Japaner schreiben Bilder und  malen Schriftzeichen. Für sie besteht

kein Wesensunterschied zwischen den beiden Tätigkeiten.

 «Der Westen macht den Inhalt zur Realität - der Osten den Klang»

14. Ziehst du daraus Konsequenzen für deine «Schrift-Malerei»?

 Ich möchte Farben zum Klingen bringen - Werke komponieren - Poesie & Musik fürs Auge.

15. Wie bist du dazu gekommen mit Farben zu schreiben?

 Es ist die Interferenz, die Durchdringung zweier Welten, zweier Wellen - der Farb- und Klangwelle,  die mich reizt. Mein verehrter Lehrer Viktor Hermann an der Kunstgewerbeschule Zürich gab den  Anstoss dazu, als er uns erzählte, dass nach einem alten indischen Mythos Farbe und Klang zur  selben Zeit entstanden wären. 1987 entwickelte ich das Farbalphabet «cromcode emef ®», einen  chromatischen code. Jedem Vokal und jedem Konsonanten ordnete ich einen definierten Farbwert zu.  Diese Zuordnung dient mir seither als Arbeitshypothese.

16. Wie hast du die Farben den Lauten zugeordnet?

 Einerseits aus einem persönlichen Empfinden heraus, andererseits in Anlehnung an die Lautqualität  und Lautbildung. Es gibt Menschen, die zwei oder mehrere Sinne miteinander verbinden, das sind  Synästhetiker, welche zum Beispiel Buchstaben, Zahlen oder Wochentage mit bestimmten Farben,  Aromen mit bestimmten Formen oder Bewegungen mit bestimmten Klängen intersensorial verknüpfen.

          

17. Weshalb schreibst du mit Farben?

 “Die Schrift tendiert zu einer Verengung der Bilder, zu einer rigorosen Linearisierung der Symbole.  Der Buchstabe macht aus dem Denken eine buchstäblich eindringende Linie, die zwar von grosser    Reichweite, aber dünn wie ein Faden ist.” (A. Leroi-Gourhan) Es geht mir um ein Weiten der Zeile zur  Fläche, um die Muster unserer Sprache, um die Struktur. In den Textbildern wird der Faden der  Linearität zum Text, zur Textur verwoben. Textus heisst auf lateinisch Gewebe. Die Farbschrift ist eine  schöpferische Reflexion unserer Schriftkultur.  

18. Kannst du deine Textbilder lesen?

 Mit dem Tempo eines 1. Klässlers, der eben lesen gelernt hat. Wenn ich ein Textbild betrachte,  unterliege ich nicht - noch nicht! - dem Lesezwang, wie wenn ich einen Buchstabentext betrachte.

19. Du schreibst die Textbilder phonetisch, das heisst lautgetreu?

 Das mache ich um die phonetische Kluft zwischen Schreibweise und Aussprache möglichst klein zu  halten. Im Italienischen ist sie viel kleiner als im Deutschen, da eine grössere Übereinstimmung von  mündlicher und schriftlicher Diktion besteht. Da das Lesen phonetischer Schrift im menschlichen  Gehirn anders verarbeitet wird, als das Lesen von ideografischer, das heisst Bilderschrift, wird auch  die Farbschrift anders gelesen als die alpabetischen Zeichen. Selbst das Verarbeiten von Vokalen und  Konsonanten geschieht unterschiedlich.

20. Wie hast du das Farbalphabet ein- und umgesetzt?

 Das erste Textbild malte ich 1987, ein Geburtstagsbild. 1993 übersetzte «Die Weise von Liebe und  Tod des Cornets Christoph Rilke» von Rainer Maria Rilke mittels des cromcode emef ® und den  ersten Teil der Sonette an Orpheus in Farbe, insgesamt sechsundzwanzig Tempera-Bilder.

21. Hast du auch in anderen Techniken gearbeitet?

 Den Werkzyklus Der Turm zu Babel habe ich 1994 in der jahrtausendalten Technik des Mosaiks  ausgeführt. So wie die Aufsplitterung des Mosaiks in die einzelnen Mosaiksteinchen - den Pixeln von  einst - in ihrer Zusammensetzung sich wieder zu einem Ganzen fügen, werden mir die Textbilder zur  Ode an die Sprachenvielfalt der verschiedenen Völker. Die “babylonische Sprachverwirrung” verstehe  ich nicht als Strafe, sondern als Ausdruck einer Entwicklungsvielfalt, Ausdruck eines  Schöpfungsgeheimnisses.

21. Zurück zu den Runenpfählen: Ist dieses Werk ein Start und ein Aufbruch?

 Es ist ein Fort-Schritt, ein Fortschreiten meiner Arbeit im Freien. 1998 “schrieb” ich mit farbigen  Sonnenschirmen den Anfang des Gedichts In riva al mare von Giosue Carducci auf den Strand von  Marina di Pietrasanta. Zwischen zwei Horizonten - Fra due orizzonti ist ein Projekt gewesen zwischen  Meer und Berg, dem bewegten Meer der Gefühle und dem Festland der Begriffe angesiedelt am  Strand –einem ort zwischen Sinn und Sinnlichkeit.

22. Wie bist du ins Drei-Seen-Land gekommen?

 Im Januar 1999, habe ich vom Schweizer Konsulat in Genua die Ausschreibung von Artcanal erhalten.  56 KünstlerInnen wurden ausgewählt, zur Hälfte AuslandschweizerInnen, zur Hälfte in der Schweiz  lebende KünstlerInnen. Mein Projektvorschlag mit den 56 farbigen Pfählen ist aus dem Dialog mit  dem Fluss, der Landschaft und ihrer Geschichte entstanden.

23. Wie stehen die Runen damit im Zusammenhang?

 Das wüsste ich auch gerne...Sie bilden einen geheimnisvollen, noch zu ergründenden Code.

24. Wenn man das Werk anschaut, hat man das Gefühl, die Skulptur müsse «so» sein, inmitten des Wassers, harmonisch in die Natur eingefügt?

              

 Danke fürs Kompliment. Auch für mich war es die eindrücklichste Erfahrung zu sehen, dass die Natur,  der Fluss, die Bäume, die Schwäne das Kunstwerk angenommen haben. Damit einher geht die Frage  nach der gegenseitigen Verträglichkeit von Natur und Kultur, im Speziellen von Natur und  Schriftkultur. Wie steht unsere Kultur, unsere Schriftkultur mit der Natur im Zusammenhang? Sind die  beiden Welten miteinander vereinbar?

 Jean-Jacques Rousseau, der ganz in der Nähe auf der St. Petersinsel Erholung suchte, sieht in der  Schrift eine Entfremdung des Naturzustandes wie er in seinem «Essai sur l'origine des langues»  ausführt: «Die Schrift, die scheinbar die Sprache festhalten soll, ist genau das, was sie verändert; sie  ändert nicht die Wörter, aber den Geist; sie ersetzt den Ausdruck durch Exaktheit. Man gibt seine  Gefühle wieder, wenn man spricht, und seine Ideen, wenn man schreibt.»

25. Was war für dich bei der Gestaltung des Kunstwerkes entscheidend?

 Das Erreichen des ästhetischen Gleichgewichts.

26. Wie hast du das optische Gleichgewicht hergestellt?

 ”Zwei Dinge allein aber ohne ein drittes wohl zusammenfügen ist unmöglich, denn nur ein  vermittelndes Band kann zwischen beiden die Vereinigung bilden. Von allen Bändern ist aber  dasjenige das schönste, welches zugleich sich selbst und die durch dasselbe verbundenen  Gegenstände möglichst zu einem macht. Dies aber auf das Schönste zu bewirken, ist die Proportion  da.” (Platon Timaios)

 Die beiden Pfählreihen stehen in ihrer Länge im Verhältnis des goldenen Schnittes zueinander.

27. Spannend ist die Realisierung dieses Kunstwerkes.

 Sobald es um die Verwirklichung geht, gehen künstlerische Aspekte und technische Forderungen  ineinander über. Ideen und virtuelle Bilder stossen im ideellen Raum an keine Hindernisse. Die  materielle Realisierung verlangt technische Lösungen; diese hat Erno Christen hervorragend  geschaffen.

 Nicht nur Krieg macht erfinderisch, sondern auch die Forderung nach einem ästhetisch ausgerichteten  Gleichgewicht!

28. Wie haben die Leute dieses Kunstwerk aufgenommen?

 Mit Begeisterung und Bewunderung. Eine Frau verglich das Werk mit einem Strichcode in der  Landschaft, welcher den Betrachter bereichert. Andere sprachen von einer optischen Tonleiter, von  einer farbigen Panflöte.

29. Die eben aufgezeigten Hintergründe kennen die meisten BetrachterInnen deines Werkes nicht.

 Wir können den Sternenhimmel bewundern auch ohne Astronomen zu sein, doch das Wissen um den  Hintergrund gibt dem Augenblick Tiefe und Transparenz.

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